Putins Hintermänner oder die Neuauflage des Politbüros

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NZZ.ch

Der russische Präsident Wladimir Putin (vierter von links) an einem Treffen der Beschäftigten der Kohleindustrie im Kreml. (Bild: Mikhail Klimentyev/Keystone)
Um Wladimir Putin schart sich ein enger Kreis einflussreicher, doch wenig bekannter Männer. Russische Politologen vergleichen die heutigen Machtstrukturen im Kreml mit denjenigen des Politbüros aus sowjetischer Zeit.

Doris Heimann, Moskau

Russlands Präsident Wladimir Putin hat ein informelles Gremium um sich aufgebaut, das ähnlich wie einst das Politbüro die eigentliche Zentrale der Macht bildet. Das sind Thesen aus einer Studie der russischen Politologen Jewgeni Mintschenko und Kyrill Petrow, die wegen ihrer Präzision in der russischen Öffentlichkeit für Aufsehen sorgt.

«Politbüro 2.0» – mit diesem griffigen Ausdruck beschreiben Mintschenko und Petrow die Neuauflage sowjetischer Strukturen unter Putin. Das einst vielbeschworene Tandem aus Wladimir Putin und Dmitri Medwedew habe ausgedient. Auch die sogenannte Vertikale der Macht sei nur eine Propagandaparole. Vielmehr handle es sich bei der russischen Obrigkeit um ein «Konglomerat aus Clans und Gruppen, die miteinander um die Ressourcen des Landes konkurrieren», heisst es. Gebildet wurde es im Laufe der vergangenen zwölf Jahre. Die Rolle Putins sei die des Schiedsrichters und Moderators. Zudem kontrolliere der Präsident die grossen Banken, alle langfristigen Gasverträge und den Energieriesen Gazprom.

Interessengruppen

Von den acht Männern, die die Studie als Mitglieder des Politbüros 2.0 ausmacht und die unterschiedliche Interessengruppen repräsentieren, sind die meisten im Westen kaum bekannt. Als Ausnahme gilt dabei Dmitri Medwedew, Putins Vorgänger im Amt des Präsidenten und seit ein paar Monaten wieder russischer Regierungschef. Medwedew habe zwar an Einfluss verloren, seit er auf eine zweite Kandidatur als Präsident verzichtet habe. Auch müsse er derzeit eigene politische Ambitionen zurückstecken, führen die Autoren aus. Dafür verfüge er aber mit der Partei Einiges Russland, insbesondere als deren Vorsitzender, über ein wichtiges Machtinstrument. Hinter Medwedew stehen liberaler gesinnte Kräfte wie der Vizepremierminister und einflussreiche Ideologe Wladislaw Surkow sowie dessen Amtskollege Igor Schuwalow.

Ebenfalls zum inoffiziellen Machtzirkel gehört Sergei Iwanow, Ex-Verteidigungsminister und jetzt Chef der Administration des Kremls. Der 59-jährige Iwanow ist wie Putin ein ehemaliger KGB-Offizier und zählt zu dessen engsten Vertrauten. Auch Igor Setschin, Vorstandschef des Mineralölkonzerns Rosneft, hat eine Vergangenheit im Geheimdienst. Seine Aufgabe besteht darin, den Zugriff der Eliten auf die Energieressourcen zu sichern.

Um diese Rolle konkurriert mit Setschin das Duo aus dem Milliardär und Ölhändler Gennadi Timtschenko und dem Banker und Medienmogul Juri Kowaltschuk. Beide sind bemüht, Setschins Einfluss und die Dominanz von Gazprom zurückzudrängen.

Labiles Gleichgewicht

Die Interessengruppe der regionalen Nomenklatura, zu der mehrere Gouverneure gehören, wird vom Moskauer Oberbürgermeister Sergei Sobjanin vertreten. Der 54-jährige Sobjanin hat es in den zwei Jahren, seit er das Amt von Juri Luschkow übernommen hat, geschafft, konfliktfreie Beziehungen zu allen Oligarchen mit Interessen in der Hauptstadt aufzubauen. Das stärkt seine Machtposition. Als Neuling im Machtzirkel bezeichnen die Autoren den Vizechef der präsidialen Verwaltung, Wjatscheslaw Wolodin. Sein Spezialgebiet ist das politische Management. Zudem verfügt er über grossen Einfluss in Einiges Russland.

Die Politologen bezeichnen die Gemengelage innerhalb der Machtclique als «labiles Gleichgewicht», da einzelne Mitglieder die Umsetzung widersprüchlicher Strategien verfolgten. Allen gemeinsam sei jedoch, dass sie ihre Macht nutzten, um ihr persönliches Vermögen zu sichern und zu mehren. Daher sei auch keine Gruppe an einem Aufbrechen der Machtstrukturen interessiert.

Um den harten Kern des sogenannten Politbüros herum ordnen die Autoren der Studie noch mehrere Gruppen von «Kandidaten», wie zu Sowjetzeiten die nicht stimmberechtigten Mitglieder des obersten Parteigremiums hiessen. Käme es zu Verwerfungen innerhalb des Zirkels, könnten drei dieser Kandidaten rasch wichtige Rollen einnehmen.

Der Milliardär und ehemalige Präsidentschaftskandidat Michail Prochorow sowie der Ex-Finanzminister Aleksei Kudrin hätten Anziehungskraft für die rechtsliberal gesinnten Bürger. Der ehemalige russische Nato-Beauftragte und jetzige Vizepremierminister Dmitri Rogosin dagegen könnte das links-nationalistisch gesinnte Lager bedienen. Welche Umstände eine Krise in Putins Machtsystem auslösen könnten, führen die Autoren der Studie jedoch nicht aus.