Russisches Ränkespiel um die Kontrolle über Banken; Die Art und Weise der Sanierung der Bank of Moscow wirft viele Fragen auf

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Gerald Hosp, Moskau Moskauer Betrugsvorwürfe Private Nutzniesser Unklare Rolle Jusufows Staatsbank in Opferrolle Schwächen der Aufsicht
Neue Zürcher Zeitung

Die grosse staatliche Finanzspritze für die russische Bank of Moscow ist weiterhin mit Fragezeichen versehen. Der ehemalige CEO wehrt sich gegen den Vorwurf des Kreditbetrugs. Der Bail-out belastet den Ruf des gesamten russischen Bankensektors.

Staatliche Unterstützung für eine in Not geratene Bank ist im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise keine Besonderheit. Die Vorfälle um die Finanzspritze für die russische Bank of Moscow (Bank Moskwy, BoM) tragen jedoch mehr die Züge eines Sittenbildes der wirtschaftlichen und politischen Elite Russlands als jene einer Hilfsaktion für eine aus den Fugen geratene Bankbilanz. Die russischen Behörden schnürten Anfang Juli zur Abwendung eines Bankrotts der angeschlagenen BoM ein Rettungspaket in der Höhe von 395 Mrd. Rbl. (11 Mrd. Fr.). Das war die bisher grösste Kapitalspritze in der russischen Bankenbranche. «Das Hilfspaket war nicht notwendig. Mit dem Bail-out wurden die Aktionäre des Instituts und nicht die Bank gerettet», sagt Andrei Borodin, der frühere CEO der Bank, im Gespräch mit dieser Zeitung an einem Ort, der nicht genannt werden soll.

Borodin wehrt sich gegen die erhobene Anschuldigung, unter seiner Führung sei es zu Kreditbetrug gekommen. Russische Behörden sagten, mehr als die Hälfte des Kreditportfolios des Instituts sei «faul». Ein grosser Anteil davon könne Unternehmen zugeordnet werden, die in Verbindung zu Borodin und anderen ehemaligen Managern der BoM stünden. Es soll Versuche gegeben haben, Vermögenswerte, die als Sicherheiten dienten, zu verkaufen. Gegen Borodin wurde zudem im Zusammenhang mit der Kreditvergabe an ein Immobilienunternehmen ein Haftbefehl erlassen. Borodin befindet sich seit Ende März nicht mehr in Russland, der Banker wird in London vermutet.

Den Stein ins Rollen brachte der Abgang des Moskauer Bürgermeisters Juri Luschkow. Im vergangenen September entliess der russische Präsident Dmitri Medwedew den langjährig amtierenden Luschkow, der die Hauptstadt selbstherrlich geführt hatte. Korruptionsvorwürfe gegen Luschkow und seine Frau, die Unternehmerin Jelena Baturina, machten die Runde. Die Absetzung Luschkows war jedoch mehr ein Machtspiel innerhalb der Elite als eine Anti-Korruptions-Kampagne; gegen Luschkow wurden keine Untersuchungen eingeleitet. Die BoM war dabei teilweise im Besitz der Stadtverwaltung, Borodin gilt als ein Weggefährte Luschkows.

Kurz nachdem Luschkow das Rathaus verlassen hatte, kündigte der neue Bürgermeister Sergei Sobjanin den Verkauf einiger Vermögenswerte der Stadt an, darunter auch die Anteile an der BoM, die nach Bilanzsumme gemessen zur fünftgrössten russischen Bank seit ihrer Gründung im Jahr 1995 aufgestiegen war. Erster Interessent für die BoM war die Staatsbank VTB, Russlands zweitgrösstes Finanzinstitut.

Die VTB erhielt ohne Auktionsverfahren den Zuschlag: Im Februar kaufte die Staatsbank für 103 Mrd. Rbl. (damals 3,7 Mrd. $) den Anteil der Stadt Moskau in der Höhe von 46,48%. Zudem erwarb die VTB von der Stadt eine Sperrminorität an einem Versicherungsunternehmen, das einen Anteil von 17,32% an der BoM hält. Danach entbrannte ein Kampf um die Kontrolle der Bank. Borodin und sein Managementteam wehrten sich, wurden aber hinausgedrängt. Zuvor hatten die russischen Behörden eine Untersuchung im Zusammenhang mit der Vergabe eines Kredits in der Höhe von 413 Mio. $ an das Unternehmen Premier Estate gegen Mitarbeiter der Bank eingeleitet. Premier Estate hatte mit dem Geld ein Grundstück im Zentrum Moskaus von Jelena Baturina gekauft. Borodin und Baturina weisen alle Vorwürfe zurück.

Borodin hatte aber noch einen Trumpf in der Hand: Er besass einen Anteil von 19,9% an der BoM. Laut Borodin bot sich nach der Absetzung Luschkows Igor Jusufow als Vermittler an. Jusufow ist Gazprom-Verwaltungsratsmitglied und war früher russischer Energieminister. Er soll über gute Kontakte zu Präsident Medwedew verfügen, heisst es. Jusufow soll den Verkauf des Aktienpakets mit einem Abschlag zum Marktwert im Tausch gegen den Schutz vor einer Strafverfolgung vorgeschlagen haben. Diese Darstellung wird jedoch von Igor Jusufows Sohn Witali im Gespräch bestritten. Sein Vater sei zwar ein bekannter Mann, aber auch er könne die Gesetze nicht biegen. Die Verhandlungen seien auf seine Initiative gestartet worden, nach seinem Wissen habe es ausserdem mindestens drei weitere Interessenten gegeben.

Mitte März verkaufte Borodin den Anteil für angeblich rund 800 Mio. $ an Jusufow, der auch Eigentümer der norddeutschen Werft Nordic Yards ist. Damit entsprach die Gesamtbewertung der BoM nur der Hälfte des Wertes, der als Grundlage für das Geschäft zwischen der VTB und der Stadt Moskau diente. Jusufow erhielt zudem laut Medienberichten einen Kredit in der Höhe von 1,1 Mrd. $ – just von der BoM. Jusufow lässt durchblicken, dass der Kredit für die Transaktion verwendet wurde. Ob es eine Abmachung gegeben hat oder nicht, im Mai wurde ein Haftbefehl gegen Borodin erlassen.

Anfang Juli platzte dann eine veritable Bombe: Die russischen Behörden verkündeten den grössten bisherigen Bail-out der jüngeren russischen Bankengeschichte. In den Büchern der BoM sollen Problemkredite in der Höhe von knapp 370 Mrd. Rbl. (12,6 Mrd. $) stehen, was mehr als die Hälfte des gesamten Kreditportfolios ausmachte. Davon sollen Kredite in der Höhe von 217 Mrd. Rbl. an Unternehmen vergeben worden sein, die eine Verbindung zu Borodin und anderen früheren Managern der BoM hatten. Die Kreditsumme an Offshore-Unternehmen und wertlosen Gesellschaften soll 150 Mrd. Rbl. betragen. Borodin schrieb in einem offenen Brief, den Darlehen stünden auch Vermögenswerte gegenüber. Der Wert der Besicherungen für die Kredite in der Höhe von 217 Mrd. Rbl. betrage 266 Mrd. Rbl.

Die russische Zentralbank will nun eine Summe von 295 Mrd. Rbl. zuschiessen. Die BoM soll das Geld in Form eines Kredits von der staatlichen Agentur für Einlagensicherung mit einer Laufzeit von 10 Jahren zu einem Zinssatz von 0,51% gewähren. Mit diesem Geld sollten russische Staatsanleihen gekauft werden, die einen Zinsertrag von rund 15 Mrd. Rbl. jährlich sichern sollten. Die VTB wird mit 100 Mrd. Rbl. das Eigenkapital der Bank stärken. Um die staatliche Hilfe in Anspruch nehmen zu können, muss die VTB aber die Beteiligung an der BoM auf 75% steigern. Der Vorwurf Borodins, die Rettungsaktion nütze vor allem den Aktionären und nicht so sehr der Bank, hängt zunächst mit der Überzeugung zusammen, der Bail-out sei unnötig gewesen.

Er bezieht sich aber auch auf die Art und Weise. Zunächst verlieren die Aktionäre nicht ihre Investitionen. Zudem muss nach derzeitigem Stand ausser der VTB keiner der Aktionäre Kapital nachschiessen, im Weiteren muss die Staatsbank Anteile zukaufen. Neben Jusufow sicherte sich auch der regierungsnahe Geschäftsmann Suleiman Kerimow einen Anteil an der BoM, indem er der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs die Beteiligung am russischen Institut in der Höhe von 3,88% abkaufte.Witali Jusufow signalisierte bereits kurz nach der Ankündigung des Bail-out seine Verkaufsbereitschaft. Die Verhandlungen liefen, es gebe noch keine Einigung, sagt Jusufow. Zudem habe die VTB noch kein schriftliches Angebot abgeliefert.