Der Generalstaatsanwalt Russlands und der Schweizer Bundesanwalt pflegen enge Beziehungen. Da stellt sich die Frage: Ab welchem Punkt wird man von der Gegenseite vereinnahmt?
Zum Treffen hatte der russische Generalstaatsanwalt Juri Tschaika geladen. Es war im März letzten Jahres, und Bundesanwalt Michael Lauber reiste mit einer mehrköpfigen Delegation nach Moskau. Dort tauschten sich die Vertreter der beiden Behörden über die «Herausforderungen im internationalen Kampf gegen Korruption» aus.
Tschaika liess es seinen Schweizer Gästen an nichts mangeln. Er quartierte sie in einem Luxushotel ein, lud sie zu edlem Speis und Trank und gab ihnen grosszügig Geschenke mit auf den Heimweg. Darunter befanden sich Wodka, Kaviar und eine ebenso auserlesene wie vielteilige Porzellan-Garnitur, die in einen riesigen Koffer verpackt war.
Lauber bedankte sich bei Tschaika – und hatte ein Problem. Die Geschenke waren derart gross, dass sie im Linienflugzeug zurück in die Schweiz keinen Platz fanden. Deshalb musste sie ein Mitglied der Bundesanwaltschaft per Taxi in die Schweizer Botschaft bringen. Dort wurden sie während Monaten eingelagert, bis zumindest ein Teil von ihnen in die Schweiz überführt werden konnte.
«Die Geschenke sprengten bei weitem den üblichen Rahmen.»
«Bei den Geschenken handelt es sich um übliche Gastgebergeschenke», sagt Niklaus Oberholzer heute. Er ist Bundesrichter und Präsident derjenigen Behörde, welche die Bundesanwaltschaft beaufsichtigen muss. Im Gegensatz dazu erzählt eine sehr gut informierte Person: «Die Geschenke sprengten bei weitem den üblichen Rahmen.» Ja, die russische Generalstaatsanwaltschaft habe die Schweizer Delegation regelrecht verwöhnt. «Es war völlig klar, dass sie Bundesanwalt Michal Lauber einlullen wollte.»
Dazu muss man wissen: Generalstaatsanwalt Juri Tschaika gilt als enger Vertrauter von Wladimir Putin. Auch aus diesem Grund werfen ihm Oppositionelle vor, er biete Hand für willkürliche Strafverfahren gegen politische Gegner des Staatschefs. Amnesty International beanstandete mehrmals die Verletzung des Grundrechts auf ein faires Verfahren.
Die Frauenband Pussy Riot übte in ihrem Song «Tschaika» offene Kritik am Generalstaatsanwalt. Und die russische «Anti Corruption Foundation» legte in einem auf Youtube abrufbaren Film den Verdacht nahe, die beiden Söhne Tschaikas hätten Verbindungen zur organisierten Kriminalität Russlands.
Nun hat die Frage, ob die russischen Geschenke für den Schweizer Bundesanwalt verhältnismässig waren oder nicht, anekdotischen Charakter. Hinter der Anekdote steht allerdings ein grundsätzliches Problem: Wie eng soll eine Schweizer Behörde mit der Behörde eines Landes zusammenarbeiten, das wiederholt rechtsstaatliche Grundsätze verletzt? Wer bestimmt die informellen Regeln dieser Zusammenarbeit? Und welche Gefälligkeiten nimmt eine Seite an, ohne sich zum Instrument der anderen zu machen?
«Man kann sich nicht widersetzen»
«Im internationalen Austausch gibt es Gepflogenheiten, denen man sich nicht widersetzen kann», sagt eine Sprecherin des Bundesanwalts dazu. «Viele Gastgeber, auch russische, sind grosszügig. Sie laden ein und verteilen Geschenke. Das gehört einfach dazu.» Fest stehe aber auch, dass persönliche Kontakte mit Generalstaatsanwaltschaften anderer Länder wichtig seien. «Sie sind Grundlage dafür, dass der Schweiz auch in heiklen Fällen Rechtshilfe gewährt wird.»
Die Frage, ob Lauber von der russischen Generalstaatsanwaltschaft vereinnahmt werde, hatte sich unter anderem unmittelbar vor dem Treffen in Moskau gestellt. Im Dezember 2015 erstattete die «Anti Corruption Foundation» bei der Bundesanwaltschaft nämlich Strafanzeige gegen Artem Tschaika, einen der beiden Söhne des Generalstaatsanwalts. Tschaika junior habe kriminelles Geld aus Russland in die Schweiz verschoben, hiess es in der Anzeige. Darauf sei das Geld in eine Villa in Coppet am Genfersee sowie in eine Beratungsfirma in Lausanne geflossen.
Der Bundesanwalt selbst bestreitet vehement, dass es einen Zusammenhang zwischen dem faktischen Freispruch für Tschaika junior und dem Treffen mit Tschaika senior gebe.
Bereits drei Monate nach Eingang der Strafanzeige und ein paar Wochen vor Laubers Besuch bei Tschaika senior stellte die Bundesanwaltschaft fest: An den Vorwürfen ist nichts dran. Sie verfügte eine sogenannte Nichtanhandnahme der Anzeige. Heute sagt eine sehr gut informierte Person: «Ich war erstaunt, wie schnell der Fall erledigt war.» Und eine andere Person ergänzt: «Artem Tschaika wurde mit Samthandschuhen angefasst.»
Der Bundesanwalt selbst bestreitet vehement, dass es einen Zusammenhang zwischen dem faktischen Freispruch für Tschaika junior und dem Treffen mit Tschaika senior gebe. «Der Bundesanwalt nahm in keiner Weise Einfluss auf die Vorermittlungen gegen Artem Tschaika», sagt seine Sprecherin. Der Entscheid, den Fall nicht anhandzunehmen, sei von der Zweigstelle Lugano der Bundesanwaltschaft gefällt worden. «Und auch der Zeitpunkt der Nichtanhandnahme-Verfügung war zufällig.»
Im Bundesratsjet nach Irkutsk
Unbestritten ist, dass Michael Lauber an einem guten Einvernehmen mit Juri Tschaika gelegen ist. Das zeigte sich daran, dass er bei seinem Besuch im März 2016 ebenfalls ein Geschenk für den Generalstaatsanwalt mitbrachte: ein Gemälde des Heiligen Nikolaus, das er in der Schweiz für 300 Franken hatte anfertigen lassen.
Und es zeigte sich im August 2014. Damals lud Tschaika zu einer internationalen Konferenz in Irkutsk, 8000 Kilometer von der Schweiz entfernt. Wieder reiste eine mehrköpfige Delegation der Bundesanwaltschaft an. Lauber flog – «aus Sicherheitsgründen», wie seine Sprecherin sagt – im Bundesratsjet in die zentralasiatische Stadt, der Rest der Delegation per Linienflugzeug.
Auch in Irkutsk mangelte es den Schweizern an nichts. «Die Delegation wurde besser behandelt als alle anderen Delegationen», sagt eine sehr gut informierte Person. «Tschaika wollte auf dem Höhepunkt der damals schwelenden Ukraine-Krise beweisen, dass Russland noch immer beste Beziehungen zur Schweiz und damit zum Westen hat.»
«Die Bundesanwaltschaft ist stets zu Diensten, wenn Russland etwas will», kritisiert eine Person, die mit Rechtshilfe zu tun hat. Das zeige sich vor allem daran, dass sie den russischen Ersuchen immer anstandslos nachkomme – auch den rechtlich und politisch heiklen. Lauber weist den Verdacht allerdings von sich, in Verfahren mit Russland befangen zu sein. «Wie immer gilt der Grundsatz: Im Zweifelsfall wird versucht, Rechtshilfe zu gewähren», sagt seine Sprecherin. «Und es gilt der Grundsatz: Zwischen Partnerbehörden gibt es gegenseitiges Vertrauen.»
Auch im Fall von Andrei Borodin, dem ehemaligen Chef der Bank of Moscow, war die Bundesanwaltschaft gewillt, Rechtshilfe zu leisten. Gegen Borodin führt die russische Generalstaatsanwaltschaft ein Strafverfahren wegen des Verdachts auf Betrug und Veruntreuung. Doch die Direktion für Völkerrecht, die dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten angegliedert ist, legte ihr Veto ein. Die Begründung: Russland gewähre Borodin kein faires Verfahren. Aus diesem Grund musste die Bundesanwaltschaft das entsprechende Rechtshilfeverfahren im letzten Mai einstellen.
Und zum Schluss noch dies: Den Aufenthalt der Schweizer Delegation im Moskauer Luxushotel hatte zunächst Juri Tschaika bezahlt; am Schluss beglich allerdings Lauber die Rechnung. Zudem legt der Bundesanwalt Wert auf die Feststellung, dass es nie private Geschenke gegeben habe.
Rechtshilfe für Russland: Oft geht es um Millionen
«Die Bundesanwaltschaft pflegt mit der russischen Generalstaatsanwaltschaft ein gutes Verhältnis, weil es zwischen der Schweiz und Russland sehr viele Rechtshilfeverfahren gibt», sagt eine Sprecherin von Michael Lauber. Dazu hält das Bundesamt für Justiz, das die Verfahren beaufsichtigt, fest: «Die schweizerischen und russischen Ersuchen halten sich in etwa die Waage.» So habe Russland in den letzten fünf Jahren 150 Gesuche an die Schweiz gestellt.
Dabei habe es sich stets «um komplexe Fälle von Korruption, Veruntreuung und Unterschlagung von Staatsgeldern gehandelt, in die oft ehemalige Beamte verwickelt gewesen seien. Häufig wurde auch die Sperrung von Geldern in ein- bis dreistelliger Millionenhöhe beantragt. «Im gleichen Zeitraum stellte die Schweiz 137 Rechtshilfeersuchen an Russland», heisst es beim Bundesamt weiter. Hier sei es neben komplexen Fällen auch um weniger schwerwiegende Delikte gegangen. Keine Statistik führt das Bundesamt für Justiz zur Frage, wie vielen Ersuchen jeweils nachgekommen wurde und wie vielen nicht.